Die tägliche Gewalt im Lager

Die Ermordung von Häftlingen

Auch die Zwangsarbeit leistenden Gefangenen des Vernichtungsortes Malyj Trostenez waren weiterhin in Lebensgefahr. Im Seiler-Bericht werden einige Gründe aufgezählt, aus welchen Menschen durch das Lagerpersonal ermordet wurden. Dabei wird zugleich das Bedrohungsgefühl auf Seiten der Gefangenen hervorgehoben.

"Bald wurden einige Männer erschossen, weil sie einen Brief aus dem Lager nach hause schicken wollten. Diese Erschießungen wurden von Dr. H e u s e r geleitet. Bald wurde ein Bursch, weil er zu spät, ein Russe weil er zu früh aus der Baracke ging, ein Mädel auf dem Heimweg von der Arbeit, Russen weil sie in der Arbeitszeit nach Essen suchten, erschossen. Weitere Russen, weil sie Esswaren aus der Mistgrube suchten. Eine Zeitlang traute man sich nicht einzeln auf die Straße, man ging gruppenweise von und zu den Arbeitsplätzen.“  [1]

Morde gingen oft auf die Entscheidungen einzelner Täterinnen und Täter zurück. Der Verstoß kleinster Regeln konnte mit dem Tod bestraft werden. Nicht immer waren die Regeln und die Anforderungen an die Gefangenen deutlich formuliert. Zudem sprachen viele von ihnen kein Deutsch. Dadurch konnte es leicht zu ungewollten Verstößen kommen.

Die Verschleierung der Morde

Den Gefangenen gegenüber versuchte das Lagerpersonal die Morde und Mordabsichten mitunter zu verschleiern. Im Seiler-Bericht werden einige Begriffe und Formulierungen genannt, durch welche die Gefangenen getäuscht werden sollten. Wie aus dem Seiler-Bericht hervorgeht, wurden die Gefangenen jedoch mit der Zeit immer wieder zu Zeuginnen und Zeugen von Morden.

„Von Zeit zu Zeit wurden aus unserem Lager Leute ins 'Krankenhaus' geschickt, bald Arbeiter auf andere ‚Güter`”. [2]

„Gleichzeitig erzählte man uns von einem Erlass des Führers, in dem das weitere Umlegen von Juden verboten war.“ [3]

Die Verschleierung der Morde sollte die Disziplin auf Seiten der Gefangenen steigern und Widerstand verhindern. Auch im Schrift- und Aktenverkehr vieler NS-Behörden wurden Morde nicht als solche bezeichnet, sondern Tarn-Begriffe verwendet.

Der Alkoholkonsum

„Anschließend an jenen 1. sogenannten Rücktransport folgte nun ein 2., dem unser Lager 80 Personen beistellen musste. Diese 80 Leute wurden von betrunkenen SS-Kreaturen geprügelt und weggeführt.“ [4]

 „Herr Rieder war ständig betrunken, doch zu den Lagerinsassen immer sehr „freundlich“. Er äußerte sich mal, „bevor ich jemanden hungern lasse, erschieß ich ihn lieber ...“ [5]

Im Seiler-Bericht finden sich zwei Verweise auf den Alkoholkonsum von Tätern in Malyj Trostenez. Alkohol wurde durch Täterinnen und Tätern im Kontext des Holocausts sowohl im Rahmen von Morden und anderen Gewalttaten konsumiert, als auch im Rahmen von Freizeitaktivitäten. Dabei diente der Konsum auch der Betäubung und Abstumpfung im Angesicht der Gewalttaten. So soll ein Offizier der Sicherheitspolizei mehrere tausend Flaschen Vodka verteilt haben, für die Verwendung während und nach den Massenmorden in der Umgebung von Malyj Trostenez.

Bereicherung

Im Bericht wird der organisierten Raub des Eigentums der in der Region Minsk internierten und ermordeten Menschen ausführlich thematisiert. In diesem Zusammenhang wird auch ein Fall von persönlicher Bereicherung geschildert. Da Wolf Seiler selbst im Magazin tätig gewesen sein soll, liegt es nahe, dass die Schilderungen auf persönlichen Beobachtungen fußten:

„Großzügig und freigebig war er [=SS-Sturmführer Wilhelm Madecker] [...] seiner Freundin [...] gegenüber. Die schönsten Kleidungsstücke aus dem Magazin waren gerade gut genug. Was wurde nicht alles in der Schneiderei und Kürschnerei gearbeitet. Auch für sich sagte [vermutlich: „sorgte“] Herr Madeker.“ [6]

„Vergnügen“

Julie Sebek wurde im Mai 1942 nach Minsk deportiert und anschließend nach Malyj Trostenez gebracht. Dort war sie als Köchin auf dem Gut eingesetzt. Sie berichtete in einer Zeugenaussage über Misshandlungen bei der Einvernahme durch Georg Heuser. In ihrer Aussage beschrieb sie sexuelle Übergriffe. Eine jüdische Frau hatte mutmaßlich ein Verhältnis mit einem Unterscharführer. Heuser ließ die Frau erhängen. Julie Sebek wurde als vermeintliche Mitwisserin blutig geschlagen.[7]

„Zu uns kam das Kommando aus Kiew […], das nun unsere Baracken bezog, während die Juden auf den Arbeitsplätzen und in den Werkstätten zusammenziehen mussten. Das Bataillon 23 bestand aus ungefähr 400 Mann [= ukrainische Kollaborateure], denen ca. 20 Deutsche vorstanden. Jeder von den Deutschen hatte sich ein russisches Mädchen mitgebracht, und man lebte vergnügt in den Tag.“ [8]

Das im Zitat erwähnte „Vergnügen“ umfasste offensichtlich auch Fälle von sexueller Gewalt.

Malyj Trotenez und seine Umgebung dienten auch als Ausflugsziel. Eine deutsche Bedienstete/ Schreibkraft erinnerte sich später folgendermaßen an den Ort:

„Auf dem Gut standen uns Pferde zum Reiten zur Verfügung. Ein kleiner See befand sich in der Nähe des Wohnhauses. Kähne waren da".[9]

So wurde auch der alkoholkranke Kommandeur der Sicherheitspolizei, Eduard Strauch, angeblich regelmäßig zum Ausnüchtern ins Lager gefahren.

Die Nazis mordeten, bestraften, verwalteten und organisierten in Malyj Trostenez also nicht nur, sondern sie verbrachten dort auch so etwas wie Freizeit.

Quellen: 

[1] Seiler Bericht, S.4.

[2] Ebd., S.6.

[3] Ebd., S.7

[4] Ebd., S.8.

[5] Ebd., S.10.

[6] Ebd., S.5. 

[7] VWI-SWA, I.1, Minsk – Korresp. bez. Aufklaerung von Verbrechen in Minsk – I_II, 2 AR- Z 3/61, Betreff: Aufklärung der NS-Gewaltverbrechen in Minsk, Weisruthenien, Brief an die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen. 

[8] Seiler Bericht, S.7.

[9] Vgl.: Petra Rentrop: Tatorte der "Endlösung": das Ghetto Minsk und die Vernichtungsstätte von Maly Trostinez, Berlin 2011, 220f.