Die digitale Erschließung eines Vernichtungsortes

Bei Maly Trascjanec nahe Minsk liegt die wohl größte Vernichtungsstätte des Holocaust auf dem Gebiet der vormaligen Sowjetunion. Zwischen 1942 und 1944 ermordeten die deutschen Besatzer und ihre Helfershelfer auf der Waldlichtung Blahaǔščyna, im Lager “Malyj Trostenez” und in dem angrenzenden Waldstück Šaškoǔka viele Tausende Jüdinnen und Juden, zivile Geiseln, Insass:innen der Minsker Gefängnisse, darunter Untergrundkämpfer, Partisanen- und Widerstandsverdächtige sowie erkrankte Häftlinge.

Gefördert von der Stiftung “Erinnerung, Verantwortung und Zukunft” haben sich seit Januar 2021 Studierende aus Belarus, Österreich und Deutschland im Rahmen des Programms Jugend erinnert mit der transnationalen digitalen Erschließung und Kontextualisierung des Vernichtungsortes Malyj Trostenez/Maly Trascjanec auseinander gesetzt.

Diese Website führt mit sechs digitalen Ausstellungen (Omeka) und zwei digitalen Rundgängen (DigiWalk) erste Ergebnisse der trinationalen Kooperation in diesem Projekt zusammen. 

Die Ausstellungen und DigiWalks sind 2021/22 entstanden, in einer Zeit, in der die Covid-19 Pandemie jede direkte Zusammenarbeit der drei Projektgruppen und auch eine gemeinsame Forschungsreise nach Minsk unmöglich gemacht hat. Nicht nur die Projektergebnisse sind digital, auch die gemeinsame Arbeit hat unter für alle Beteiligte vollkommen neuen und ungewohnten Bedingungen stattgefunden. 

Die Projektgruppe hat auf diese Herausforderungen mit einer Ausweitung ihres digitalen Programms reagiert, das sie von einer Reihe geplanter Rundgänge zu einer umfassenden und integrierten Assemblage von digitalen Ausstellungen erweitert hat, die sich als Vertiefungen und ausführliche Kontextualisierungen der notwendiger Weise didaktisch stark verkürzten Walks verstehen.

Zugleich ist es Nutzer:innen damit möglich, sich virtuell aber auch direkt vor Ort mit der Geschichte von Malyj Trostenez/Maly Trascjanec zu befassen. Beschränkungen von Reisefreiheit und Mobilität stellen auch der Geschichtskultur neue Fragen. 

Vor diesem Hintergrund haben Studierende aus Minsk, Wien und Osnabrück unter Leitung von Dr. Aliaksandr Dalhouski (Geschichtswerksatt Leonid Levin, Minsk), Prof. Dr. Christoph Rass (Universität Osnabrück) sowie Prof*in Dr. Kerstin von Lingen & Prof*in Dr. Claudia Theune (beide Universität Wien) in Lehrveranstaltungen, gemeinsamen Workshops und Arbeitsgruppen über mehr als ein Jahr geforscht, diskutiert, konzipiert und schließlich ihre Perspektiven auf den Vernichtungsort Malyj Trostenez/Maly Trascjanec umgesetzt. 

Das Ergebnis besteht in der ersten Ausgabe unserer Sammlung aus sechs Online-Ausstellungen zu Aspekten von Geschichte und Erinnerung, zu Tätern und Opfern im Kontext von Shoah, Vernichtungskrieg und Besatzungsherrschaft. Weiterhin finden sich auf dieser Seite Links zu den ersten zwei digitalen Rundgängen über die Gedenkstätte Malyj Trostenez/Maly Trascjanec in deutscher und belarusischer Spache, die mit der App DigiWalk kostenfrei heruntergeladen und genutzt werden können. Weitere Rundgänge und Ausstellungen folgen. 

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  • In der Ausstellung Maly Trascjanec: Transformationen eines Vernichtungsortes werfen die Osnabrücker Student:innen Peter Kamp, Tatjana Rykov, Rukia Soubbotina und Charlotte Vöhl einen analytischen Blick auf die Transformationsprozesse des Ortes und seiner Umgebung über die Zeit. In den beiden Zeitschnitten von 1941 bis 1944 und 1944 bis heute konnten die Student:innen zahlreiche Schichten der Überformung des Geländes ermitteln und dechiffrieren. Im Gesamtbild ergibt sich so eine umfassende Erklärung des heutigen Erscheinungsbildes von Maly Trascjanec.

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  • In der Ausstellung Maly Trascjanec: Die Erinnerungskultur beschäftigen sich die Osnabrücker Student:innen Michelle Ostermaier, Kristin Waßmann und Ron Wilke mit Fragen der erinnungskulturellen Verfasstheit und Präsenz des Ortes und der dort begangenen Taten. Sie zeichnen die verschiedenen Phasen der sowjetischen und postsowjetischen Zeit sowie das wachsende Interesse an der Sichtbarmachung des Gewaltortes präzise nach und machen ebenso explizit deutlich, welche Prozesse nötig waren, um den Erinnerungsort der Gedenkstätte mit seinen verschiedenen Ausprägungen in seiner heutigen Form entstehen zu lassen.

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  • Die Osnabrücker Student:innen Nils Kaschubat, Johanna Schweppe, Paulin Wandschneider und Frank Wobig recherchierten für ihre Ausstellung Maly Trascjanec: Die Täter hunderte Seiten Quellmaterial aus Prozessakten der Nachkriegszeit, in denen die Täterschaft der an den Morden in Maly Trascjanec Beteiligten verhandelt wurden. Anhand der Biographien und Beschreibungen der Prozessher- und -ausgänge vermitteln sie ein Bild davon, aus welchen Milieus und Herkunftskontexten die Männer kamen und hinterfragen kritisch, wie "normal" ihre Leben waren.

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  • Die Wiener Student:innen Claudia Adebayo, Judith Alberth, Sarah Appl, Tina Baumann, Max Berghof, Francesco Bisaccia, Julia Greithanner, Jürgen Gruber, Melissa Gruber, Peter Hinterndorfer, Lena Hummer, Maximilian Karner, Max Neuhold, Lisa Reicher und Astrid Striessnig erstellten die Ausstellung Weg der Erinnerung I. Die Entrechtung in Wien und Deportation in den Osten. In den drei Teilen der Ausstellung beantworten sie Fragen nach der Durchführung der "Arisierung" über das Errichten von "Sammellagern" in Wien aus der Perpektive der Verfolgten, verfolgen deren Weg über die Deporationstransporte und thematisieren schließlich die Deportationsziele.

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  • Die Ausstellung Weg der Erinnerung II. Die Verfolgung und Vernichtung in Malyj Trostenez der Wiener Student:innen Arlo Newton Kleewein, Raphael Günter Kräuter, Johannes Mayer, Ruben Elias Oppenrieder, Anna Schantl, Konstantin Schischka, Stefan Schranz, Viktoria Schwammel und Teresa Unger beschäftigt sich mit den Orten der Verfolgung und Vernichtung in Minsk und Malyj Trostinez. Als weitere Schwerpunkte setzen die Ersteller:innen eine Thematisierung der verschiedenen Opfergruppen sowie eine kritische Auseinandersetzung mit archäologischen Funden und materiellen Spuren vor Ort.

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  • Die dritte Wiener Ausstellung Weg der Erinnerung III. Das Gedenken an Malyj Trostenez verrät bereits im Namen ihren Inhalt. Die Student:innen Nils Braune, Katharina Burger, Franziska Schappacher, Antonia Titze, Pia Maria Ebner, Bastian Kammerer, Florian Sprenger, Romy Stumpe, Marlene Berger, Verena Radner, Sophie Charlotte Wenkel, Florian Christoph Hladky, Paul Kathrein, Jana Viktorija Sobek sowie Astrid Wenz gliedern ihre Ausstellung in vier Teile: im ersten Teil setzen sie sich quellenkritisch mit dem sogenannten "Seiler-Bericht" auseinander. Für den zweiten Ausstellungsteil wurden von Student:innen der Universität Wien Interviews mit den Nachfahren von Opfern durchgeführt. Der dritte Ausstellungsabschnitt widmet sich der Nachkriegsjustiz in Bezug auf die Verbrechen von Malyj Trostenez, bevor zuletzt die (u.a. österreichische) Erinnerungskultur in Bezug auf Malyj Trostenez thematisiert wird.

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Im Projektteam in Minsk haben Maria Ivanova, Darya Iljankova und Natalja Holubeva die Erinnerungskultur und die Gedenklandschaft untersucht, Quellen und Materialien recherchiert und an allen Projektergebnissen mitgearbeitet. Sie haben Ausstellungen und Rundgänge getestet und begleiten die Übertragung aller Materialien ins Belarusische und Russische.   

Im Osnabrücker Projektteam hat Annika Heyen die Begleitung der Studierenden und Koordination sowie Leitung der Redaktion sowie des Technik-Teams für Omeka und DigiWalk  übernommen. In Redaktion und Technik haben in Osnabrück Tatjana Rykov, Rukia Soubbotina, Lucia Hartwig, Lara-Jasmin Tammen, Joscha Hollmann und Frank Wobig gearbeitet.

Im Wiener Projektteam haben Judith Alberth und Franziska Lamp die Redaktion geleitet und die Studierenden begleitet.

Tatjana Rykov und Rukia Soubbotina haben die Übersetzung russischsprachiger Quellen und Literatur übernommen.

Die Übersetzung der digitalen Rundgänge haben Siarhei Paulavitski und Evgeny Yuriev besorgt.  

Möglich wurde dieses Projekt nicht nur durch die Förderung der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft im Programm Jugend erinnert. Wichtige Unterstützung haben die Universität Wien und die Universität Osnabrück sowie die Geschichtswerkstatt Minsk und der IBB Minsk und Dormund mit ihren wissenschaftlichen, administrativen und technischen Infrastrukturen geleistet. 

Danken möchte das Projektteam allen Institutionen, Archiven und Privatpersonen, die uns Quellenmaterial zur Verfügung gestellt und uns mit ihrer Expertise beraten und unterstützt haben.

  • Paul Kohl
  • Waltraud Barton 
  • Michael Nowak
  • Dr. Monika Sommer
  • Dr. Claudia Kuretsidis-Haider
  • Dr. Winfried Garscha
  • Siarhei Andrushkevich
  • Dr. Astrid Sahm
  • Darija Fabijanic
  • Alina Dzeravianka
  • Konstantin Kostyuchenko
  • Aloisia Wörgetter
  • Daniel Sanwald
  • David Taukin
  • Jana Bondar
  • Andrei Shauliuha
  • Harald Baer
  • Susanne Benzig
  • PD Dr. Frank Wolff
  • Petra Lehmeyer
  • Alexander Silaen
  • Markus Tiesmeyer
  • Prof*in Dr. Lale Yildirim
  • Dr.in Yuliya von Saal

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  • Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien
  • Latvijas Nacionalais Arhivs, Riga
  • Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien
  • Israelitische Kultusgemeinde Wien
  • Hauptstaatsarchiv Hamburg
  • United States Holocaust Memorial Museum, Washington DC
  • Arolsen Archives, Bad Arolsen
  • Bundesarchiv
  • Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin
  • Haus der Geschichte Österreichs
  • Staatsarchiv Ludwigsburg
  • Landeshauptarchiv Kobelnz
  • dekoder.org
  • Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv, Wien
  • Yad Vashem Photo Collections, Jerusalem
  • YIVO Institute for Jewish Research, New York
  • Jüdisches Museum Prag
  • Topographie der Shoah, Wien
  • Minskproekt
  • NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
  • Historisches Archiv Wiener Philharmoniker
  • United States Geological Survey
  • Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus
  • Österreichisches Bundeskanzleramt
  • Stadt Wien
  • Belarussisches Museum des Großen Vaterländischen Krieges, Minsk
  • Bundesministerium Europäische und Internationale Angelegenheiten, Wien
  • Botschaft der Republik Österreich in Belarus, Minsk
  • Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Belarus, Minsk
  • Staatliches Archiv der Russischen Föderation, Moskau
  • Luftbilddatenbank Dr. Carls GmbH
  • Verlag S. Fischer
  • Heimatmuseum Luckenwalde
  • Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf
  • Art.Vision gGmbH

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Für das Projekt

Digitale Erschließung des Vernichtungsortes Malyj Trostenez

Dr. Aliaksandr Dalhouski, Geschichtswerkstatt Minsk

Prof. Dr. Christoph Rass, Universität Osnabrück

Prof*in Dr. Claudia Theune, Universität Wien

Prof*in Dr. Kersin von Lingen, Universität Wien

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