Die Fotoserie von Robert Haas
In der Phase der Enteignung und Entrechtung der Wiener Jüdinnen und Juden entstand eine Fotoserie des Fotografen Robert Haas. Der angesehene Fotograf und Grafiker erhielt Aufträge von wohlhabenden jüdischen Familien, ihre zurückgelassenen Wohnungen zu fotografieren, was nicht ungefährlich war. Diese Fotos sollten als Erinnerung im Exil oder auf der Flucht dienen und bildeten zudem die Grundlage für spätere Restitutionsansprüche. Die Fotos bilden jedoch nur einen kleinen Prozentsatz des geraubten Vermögens ab, denn von den vielen nicht großbürgerlich eingerichteten Wohnungen und Gemeindebauten gibt es keine Bilddokumente. Die Fotos können uns aber einen Eindruck vermitteln, wie brutal die Nationalsozialisten bürgerliche Existenzen von „ganz normalen Wienern“ zerstörten. Haas wurde ebenfalls als jüdisch verfolgt und floh 1938 vor dem NS-Regime aus Österreich. Die 1937/38 entstandene Fotoserie enthält heute sieben Negativserien, zwei der Wohnungen konnten identifiziert werden.
Die Familie Stern und ihr verlassenes Palais (Liechtensteinstraße 53–55, 1090 Wien)
Louise und Gustav Stern hatten die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft und bewohnten das Palais Kranz im 9. Wiener Gemeindebezirk. Sie flohen schon am 14. März 1938 nach Prag. Alles, was sie nicht mitnehmen konnten, wurde am 9. Juli 1939 im Dorotheum in Wien versteigert. Nachdem 1939 die Tschechoslowakei vom NS-Regime überfallen wurde, wurde am 6. Mai 1941 mit einer Beschlagnahmeverfügung der Geheimen Staatspolizei auch dort das „gesamte stehende und liegende Vermögen sowie alle Rechte und Ansprüche des Stern Gustav [...] aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mit dem Ziele der späteren Einziehung zu Gunsten des Deutschen Reichs beschlagnahmt”[1]. Louise nahm sich daraufhin das Leben. Gustav gelang vermutlich die Flucht.
Laszlo Berczellers leere Wohnung (Bleichergasse 6, 1090 Wien)
Die Fotoserie „Wohnung Berczeller” ist auf den 8. Juni 1938 datiert. László Berczeller war Bio- und Lebensmittelchemiker, er war ein Pionier der Forschung zu sojabasierten Nahrungsmitteln. Sein Aufenthalt zum Zeitpunkt des Anschlusses ist nicht klar, seine Frau Selma Buchwald, ebenfalls Chemikerin, musste jedoch eine Vermögenserklärung abgeben, in der sie ihren Mann als in Budapest wohnhaft angab. László Berczeller überlebte durch die Unterstützung von Quäkern, starb jedoch völlig verarmt an den Folgen von Unterernährung und Krankheit 1955 in der Schweiz. Unbekannt ist das Schicksal seiner Frau Selma Berczeller.
Quellen:
[1] ÖstA, AVA, Vermögensanmeldung 19190, zit. n.: Andres Brunner, Barbara Staudinger, Hannes Sulzenbacher, Mirjam Zadoff (Hg.), Die Stadt ohne Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge. Ausstellungskatalog des Jüdischen Museums Augsburg Schwaben und des NS-Dokumentationszentrum zur Ausstellung Dezember 2019-März 2020
- Dieter J. Hecht (Hg.), Michaela Raggam-Blesch (Hg.), Heidemarie Uhl (Hg.), Letzte Orte, Die Wiener Sammellager und die Deportationen 1941/42 (Berlin 2019).
- Dieter J. Hecht, Eleonore Lappin-Eppel, Michael Raggam-Blesch, Topographie der Shoah. Gedächtnisorte des zerstörten jüdischen Wien (Wien 32018).
- Ausstellungskatalog Jüdisches Museum Augsburg Schwaben, NS-Dokumentationszentrum München, Die Stadt ohne Juden, Ausländer, Muslime, Flüchtlinge.
- Christa Mehany-Mitterrutzner, Vernichtung – Deportation nach Maly Trostinec, 1942. Aus dem Archiv In: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.) Deportation und Vernichtung – Maly Trostinec. Jahrbuch 2019 (Wien 2019).