Geschichtswerkstatt "Leonid Levin" (2003)
„Ein besonders wichtiges belarussisch-deutsches Projekt ist die "Geschichtswerkstatt Minsk", die auf dem Gelände des ehemaligen Ghettos in Minsk entstanden ist. Dort arbeiten Belarusen und Deutsche gemeinsam daran, durch das Erinnern an die Vergangenheit eine gute Zukunft zu schaffen."1
Bundespräsident a.D. Johannes Rau im April 2006
Die deutsch-belarusische Geschichtswerkstatt wurde 2003 durch das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk (IBB) "Johannes Rau" in Minsk, das IBB Dortmund und den Verband der jüdischen Gemeinden in Belarus gegründet.2 Seit 2015 trägt die Geschichtswerkstatt zu Ehren ihres 2014 verstorbenen Mitbegründers Leonid Levin dessen Namen.3 Damit will die Geschichtswerkstatt einen Ort des authentischen Erinnerns darstellen. Die gleichermaßen an Historiker:innen und Interessierte gerichtete Lern- und Gedenkstätte ist bis heute ein im postsowjetischen Raum einzigartiges Projekt.
Da die Geschichtswerkstatt eine Nichtregierungsorganisation (NGO) ist, kann hier eine differenzierte und nicht staatlich gebundene Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus stattfinden. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt dabei auf der von deutscher und belarusischer Seite jahrzehntelang vernachlässigten Geschichte des Minsker Ghettos und des Vernichtungsortes Maly Trascjanec.4 Diese soll Eingang in die europäische Erinnerungskultur erhalten. Durch die Fokussierung auf die Schicksale der Opfer weicht die Geschichtswerkstatt von der glorifizierenden sowjetischen Erinnerungskultur ab, die den Holocaust lange Zeit tabuisierte und Helden in den Vordergrund stellte.
Neben der Erforschung dieser Orte ist das wesentliche Ziel des Projekts, die öffentliche Erinnerung aufrecht zu erhalten und neuen Generationen das Lernen aus der Vergangenheit zu ermöglichen. Dafür veranstaltet die Geschichtswerkstatt Seminare sowie Konferenzen und trägt durch Ausstellungen, Führungen und internationale Bildungsreisen wesentlich zum Erhalt der Erinnerung an den Vernichtungsort Maly Trascjanec und zur Bildung von Menschen verschiedener Altersstufen bei.
Zu den wichtigsten Projekten der Geschichtswerkstatt zählt das elektronische Zeitzeugenarchiv. Gefördert durch das deutsche Auswärtige Amt werden hier seit 2013 in deutscher und russischer Sprache Lebensgeschichten überwiegend jüdischer Opfer aus den Gebieten des ehemaligen Deutschen Reichs (Deutschland, Österreich, Tschechien) und der Sowjetunion, die in die in das Ghetto in Minsk beziehungsweise nach Maly Trascjanec deportiert wurden, für jeden zugänglich dokumentiert.5
_______________________
1 Bundespräsident a.D. Johannes Rau im April 2006.
2 Vgl. Website der Geschichtswerkstatt (abgerufen am: 17.08.2021).
3 Ein jüdischer Architekt (1936-2014), der nicht nur maßgeblich an der Gestaltung von Projekten der Geschichtswerkstatt beteiligt war, sondern an vielen in der ehemaligen Sowjetunion errichteten Gedenkstätten für die Opfer des Holocaust mitgewirkt hat. Zudem war er Vorsitzender des Verbandes der belarussischen jüdischen Organisationen und Gemeinden in Belarus. Vgl. http://gwminsk.com/de/news/memoriam-leonid-lewin (abgerufen am: 25.08.2021).
4 Vgl. Dalhouski, Zur Transformation des sowjetischen Gedenkortes, S. 124; Dalhouski, Zur Geschichte der Wahrnehmung, S. 147f.; Markschteder/Dalhouski, Das Bildungskonzept des IBB, S. 558.
5 Vgl. Broschüre der Geschichtswerkstatt Minsk (abgerufen am: 17.08.2021), S. 8, 10, 20f.; Markschteder/Dalhouski, Das Bildungskonzept des IBB, S. 562, 564f.