Zeugnisse der Opfer
Bei den 17 Funden, die durch archäologische Forschungsarbeiten am 1942–1943 existierten Massenvernichtungsort in Blagowschtschina ausgegraben wurden und sich nun im HdGÖ befinden, handelt es sich um drei Glasfläschchen, einen Kamm, eine Medikamentendose, eine Nivea-Dose, Emailtöpfe, vier Münzen sowie drei paar Munitionshülsen verschiedener Kaliber.
Aus Respekt vor den Opfern werden im HdGÖ nur Objekte der Opfer ausgestellt, die Zeugnisse der Vernichtung (zB Patronen) befinden sich im Depot und sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Nivea Dose
Es wurde nur der untere Teil der Dose gefunden, der Deckel fehlt. Im Inneren befinden sich möglicherweise noch Cremereste, vermischt mit Sediment. Bei der Dose handelt es sich um eine recht seltene „Kriegsverpackung“. Aufgrund der Rohstoffknappheit wurde die Nivea-Creme während des 2. Weltkriegs auch in Glasdosen, Behältern aus gewachster Pappe oder Bakelitdosen, wie hier, abgefüllt.
Kleines kosmetisches Gefäß
Die kleine Flasche wurde mit einem Kupferdeckel verschlossen gefunden, im Inneren befinden sich Reste einer gelbbraunen Flüssigkeit. In diese Art von Flaschen wurde NIVEA Öl, Haut-Öl bzw. Nussöl (ggf. auch Klettenwurzelöl) abgefüllt. Diese Produkte sind seit Beginn der 1930er Jahre auf dem Markt.
Weißer, emaillierter Krug mit Henkel
Bei Essgeschirr, Töpfe, Bechern sowie Löffeln handelt es sich um Gebrauchsgegenstände bzw. Alltagsgegenstände, die vom Lageralltag und der Nahrungsaufnahme erzählen. Der Besitz von Löffeln und Schüsseln war essenziell für die einzelnen Häftlinge, um zu überleben, denn ohne Schüssel und Löffel bekam der Häftling nichts zu essen. Sie entschieden also buchstäblich über Leben und Tod.[1]
Die Töpfe, Essgeschirr und Krüge spiegeln Objekte wieder, die schon auf den Packlisten der IKG für die „Einberufung“ in ein Wiener Sammellager, und später auch auf den detaillierten Merkblättern für die sogenannte „Umsiedlung“ nach Polen zu finden waren, die die Deportationen verschleierten.[2]
Bei diesem Fund handelt es sich um einen weißen emaillierten Krug mit einen Henkel. Dieser wurde in Österreich in der 1873 gegründete Austria Email AG (später durch die STEG übernommen und zur „Austria Vereinigte Emaillierwerke, Lampen- und Metallwarenfabrik AG gehörenden) Fabrik hergestellt.
Kleiner emaillierter Topf
Durch den Bodenstempel lässt sich dieser kleine emaillierte Topf der Metallwarenfabrik Fleischmann in Mödling zuordnen, welche 1867 von Karl Kleiner und Ferdinand Fleischmann gegründet worden war. Es wurden dort etwa Blechgeschirr, Menageschalen fürs Militär, und später auch Emailgeschirr hergestellt. Laut einem Bestand des Landesgerichts für Strafsachen im Wiener Stadt- und Landesarchiv befand sich an der Adresse der Metallwarenfabrik Fleischmann ein NS-Zwangsarbeitslager.
Dunkler, emaillierter Krug mit Henkel
Der am Boden nur mehr zum Teil sichtbare Stempel lässt vermuten, dass dieser emaillierte Krug mit Henkel ebenso wie der vorherige Fund in der Austria Email AG hergestellt wurde.
Pillendose „Neokratin Wien III. Dr.A.Kutiak“
In dem gefundenen Pillendöschen waren Schmerzmittel enthalten, welche gegen Dysmenorphoe, Ischias, Neuralgie, Migräne, Kephalagie, Influenza, Grippe und weitere Erkrankungen helfen sollten. Die Pillendose wurde in der noch heute aktiven Petrus-Apotheke im 3. Gemeindebezirk in Wien verkauft. [3]
Zwei-Groschen-Münze
Die Zwei-Groschen-Münze wurde in den Jahren 1925–1942 in Österreich als Zahlungsmittel benutzt. Ab dem Jahr des „Anschlusses“ 1938 wurde sie als zwei Reichspfennig anerkannt, und auf diese Weise bis 1942 verwendet. Auf der Vorderseite der Münze ist „2 Groschen“ eingeprägt, auf der Riverse befinden sich die Prägung „Österreich“ sowie das Prägejahr. Außerdem befindet sich auf der Riverse ein „Kruckenkreuz“ welches sich im Austrofaschismus zu einem wichtigen Symbol Österreichs entwickelte. Durch das „Kruckenkreuz“ wurde dem Hakenkreuz ein „christliches“ Symbol entgegengesetzt. [4]
Kamm „TEK“
Schwarzer Kunststoffkamm (Ebonit) mit der Gravur „TEK“ und „Made in Austria“. Der Kamm ist gekennzeichnet durch schmälere, enge aneinander liegende und dickere, weiter auseinanderliegende Zähne. Zwei von den gröberen Zähnen sind ausgebrochen. [5]
Glasfläschchen
Bei diesem Fund handelt es sich um ein blaues, gläsernes Arzneifläschchen ohne Deckel, welches in Wien produziert wurde.Die Inschrift darauf ist "Wien CHEM.FABRIK. ING. DR.D.STERN&G.STERN". Die Firma existierte bis 1925 , danach wurde sie von G. Salomon Mischel übernommen, dieser flüchtete 1938 mit seiner Familie nach New York. Sein Sohn Walter Mischel war ein bedeutender Persönlichkeitspsychologe. [6]
Quellen:
[1] Vgl.: Patrick Hillebrand, Die Archäologie des Alltags im Konzentrationslager Mauthausen und seinen Nebenlagern (Masterarbeit Wien 2019) 111-114.
[2] Vgl.: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands, online unter https://www.doew.at/cms/download/7kuih/IX-P4.pdf (24.04.2021).
[3]
Simplicissimus. Abgerufen am 15.4.2021 unter: http://www.simplicissimus.info/uploads/tx_lombkswjournaldb/pdf/1/46/46_16.pdf (16.4.1941, 46. Jg., Nr. 16).
Alphabetisches Sachregister zum Ostmark-Jahresbuch. Abgerufen am 14.4.2021 unter: https://docplayer.org/160642265-Alphabetisches-sachregisterf-zum-stmarkjahrbuch.html
Geschichtewiki: Petrusaphotheke. Abgerufen am 14.4.2021 unter: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Petrusapotheke
Geschichtewiki: August Ignaz Kutiak. Abgerufen am 14.4.2021 unter: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/August_Ignaz_Kutiak
Anno: Zeitschrift des Allgem. Österr. Apotheker Vereines. Abgerufen am 14.4.2021 unter: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=ozp&datum=19161216&query=%22Petrusapotheke%22&ref=anno-search&seite=2).
ÖNB: Neokratin. Schmerstillende Oblatenkapseln der Wiener Firma Dr. A. Kutiak. Abgerufen am 14.4.2021 unter: https://onb.digital/result/BAG_659360
[4]
AEIOU: Kruckenkreuz. Abgerufen am 30.4.2021 unter: http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.k/k884315.htm
Die Geldmarie: 2-Groschen-Münze. Abgefragt am 1.5.2021 unter: http://www.geldmarie.at/gold/2-groschen-m%C3%BCnzen.html#:~:text=Die%20erste%20%22echte%22%202%2D,neue%20Nominale%20%22Groschen%22%20stehen.
JAECKEL, PETER: Die Münzprägungen des Hauses Habsburg 1780-1918 und der Republik Österreich seit 1918. Die Münzprägungen der deutschen Staaten vor Einführung der Reichswährung 3, 4. Auflage, Basel 1970.
SCHÖN, GÜNTER; SCHÖN, GERHARD: Kleiner deutscher Münzkatalog. Von 1871 bis heute, 47. Auflage, Augsburg 2017.
Torgler, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 47/2, Kösching 2005, S. 143-159.
WEBER, HERMANN; HERBST, ANDREAS: Ernst Torgler, in: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Berlin 2008, S. 795-796.
Universität Wien: Zwei-Groschen-Münze mit Punzierung. Abgefragt am 1.5.2021 unter: https://bibliothek.univie.ac.at/sammlungen/objekt_des_monats/012976.html
[5]
IKV-Aachen: Kautschucktechnologie. Abgerufen am 23.4.2021 unter: https://www.ikv-aachen.de/forschung/forschungsbereiche/kautschuktechnologie
Industrie-Wegweiser: Spritzguss-Kunststofftechnik. Abgerufen am 23.4.2021 unter: https://industrie-wegweiser.de/spritzguss-kunststofftechnik/
Museen-Nord: Kamm aus Kunststoff. Abgerufen am 20.4.2021 unter: http://www.museen-sh.de/Objekt/DE-MUS-789911/lido/Fr681
[6]
Zediah: Compass. Abgerufen am 23.4.2021 unter: https://portal.zedhia.at/archive?urn=urn:nbn:at:at-compass:zedhia-cpa_000203?virtuelleurnseite=cpa_000203-170
Geni: STERN, Geza. Abgerufen am 23.4.2021 unter: https://www.geni.com/photo/view/6000000173353527976?album_type=photos_of_me&photo_id=6000000173348812952
Geni: MISCHEL, Salomon. Abgerufen am 23.4.2021 unter: https://www.geni.com/people/Salomon-Mischel/5025018783640123940
Österreichische Akademie der Wissenschaften: Porträts. Walter Mischel. Abgerufen am 23.4.2021 unter: https://www.oeaw.ac.at/exile-excellence/portraets
Anno: Internationale Maschinenwelt. Abgerufen am 23.4.2021 unter: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=imw&datum=19251106&seite=9&zoom=33&query=%22DR.D.STERN&ref=