November-Massaker

Da das Minsker Ghetto bereits mit Jüdinnen und Juden aus der Stadt und dem Umland überfüllt war, wurde in einer ersten „Großaktion“ vom 6. – 11. November und zusätzlich am 20. November 1941 für die neu ankommenden „Reichsjuden“ durch Tötung „Platz geschaffen“. Mit dem ersten Massaker an den Minsker Jüdinnen und Juden wurde SS-Sturmbannführer Hans-Hermann Remmers beauftragt. Zu jener Zeit waren die Sicherheitspolizei und SD in Minsk schwach besetzt, daher musste er auf ukrainische und weißrussische Schutzmannschaften zurückgreifen. Am frühen Morgen des 7. November 1941 riegelten die deutsche Polizei und die zuvor erwähnten Hilfsmannschaften circa 15 Häuserblocks ab und trieben die darin befindlichen Menschen auf die Straße. Die in Kolonnen aufgestellten Personen wurden daraufhin auf ihre Personalien kontrolliert. Arbeiter und ihre Familien wurden zunächst von den übrigen getrennt, und auf dem Hof der nahegelegenen Brotfabrik gesammelt.

Der Hamburger Überlebende Heinz Rosenberg, welcher mit einem sehr frühen Transport von Hamburg nach Minsk gelangte, erinnert sich an schreckliche Szenen bei der Ankunft im Ghetto, aus dem die bisherigen Bewohner offenbar gerade erst vertrieben worden waren:

            „[...] Überall war Blut, und auf den Öfen und Tischen stand noch das Essen. [...] Schließlich aber mußten die ‚Reinigungsarbeiten‘ beginnen. Die Toten wurden auf einen Platz in den Hof getragen, das Inventar wurde einfach aus den Fenstern geworfen und später im Hof verbrannt. [...]”

Die übrigen Jüdinnen und Juden wurden entweder zu Fuß in einer Kolonne von 200 bis 250 Personen oder per Lastkraftwagen aus dem Ghetto befördert und in die nördlich von Minsk gelegene Kaserne von Tucinka gebracht. Dort hatte man Tage zuvor bereits Gruben für die bevorstehenden Exekutionen ausgehoben. Wie sie im Einzelnen verliefen, geht aus einer Vernehmung Remmers nach dem Krieg hervor:

            „Ich sah, wie die Insassen der LKWs das Fahrzeug verlassen und sich in die Reihe durch eine Postenkette bewegen mußten. Die Postenkette führte in Richtung Grube hin. [...] Am Ende der Postenkette hin, mußten sich die Juden, gleichgültig ob weiblichen oder männlichen Geschlechts, entkleiden. [...] Das Entkleiden ging, wie ich sehen konnte, ziemlich grob vor sich. Die Bewachungsmannschaften haben beim Entkleiden der Juden in grober Weise nachgeholfen. [...] Ich kann heute nicht mehr sagen, ob deutsche Polizisten an der Exekutionsstätte anwesend war, jedenfalls Ukrainer sind dort gewesen. Sie bildeten auf jeden Fall das Erschießungskommando. [...] Von der Stelle, wo die Juden sich ihrer Kleider entledigen mußten, wurden sie dann zur Grube hingetrieben. Dort nahmen die Juden in der Weise Aufstellung, daß sie sich am Grubenrand mit dem Gesicht zur Grube und dem Rücken zum Schützen in einer Linie aufstellten. Es dürften sich immer jeweils 10 Juden auf diese Weise vor der Grube aufgestellt haben. Die Juden wurden dann von dem Exekutionskommando entweder mit Gewehren oder Maschinenpistolen im Einzelfeuer, und zwar immer in einer Salve, erschossen.”[1]

Nach Remmers Angaben wurden bei dieser „Aktion“ vom 6. – 11. November 1941 6.624 Jüdinnen und Juden getötet, und bei einer weiteren „Aktion“ am 20. November zwischen 5.000 und 7.000 Personen. Die Zahl der nach diesen beiden „Aktionen“ erschossenen Personen wird auf 12.000 bis 14.000 Menschen geschätzt.

Insgesamt wurden ca. 7.000 jüdische Frauen, Kinder und Männer aus dem „Altreich“, der „Ostmark“ und dem „Protektorat Böhmen und Mähren“ mithilfe von Zugwaggons nach Minsk verschleppt. Nur an die 50 Personen überlebten die verschiedenen Massaker, Strapazen, Hungersnöte, Krankheiten und andere Grausamkeiten. Es ließ sich feststellen, dass es sich bei den Überlebenden meist um Männer handelte. Frauen und Kinder waren eher von den Tötungen betroffen und hatten weniger Überlebenschancen, da die Männer von den Nationalsozialisten vermehrt zur Zwangsarbeit herangezogen wurden.

Zwischen Dezember 1941 und Frühjahr 1942 blieben weitere „Großaktionen“ aus. Dies hatte möglicherweise zwei Gründe: durch die Verschlechterung der Kriegslage konnten die Zugverbindungen in diesem Zeitraum nicht für „Judentransporte“ genutzt werden, da wichtiges Kriegsmaterial und  Truppen per Bahn in den Osten geschafft werden musste.

Zum anderen war der Winter von 1941/42 besonders hart und der Boden rund um Minsk war an die zwei Meter tiefgefroren. Ein Ausheben von Gruben, welche zum Verscharren der Toten gebraucht wurde, war somit nicht möglich. Auch SS-Obersturmführer Kurt Burkhardt vom Minsker KdS (Kommandeur der Sicherheitspolizei)  schrieb in einem Bericht an das RSHA:

             „Liquidierungsaktionen größeren Umfangs lassen sich […] bei der derzeitigen     Wetterlage nicht durchführen, da der tiefgefrorene Boden das Ausheben der       Massengräber nicht zuläßt“[2]

Das Sterben und Töten ging jedoch auch ohne „Großaktionen“ weiter. Erschießungen, physische und psychische Demütigungen und Mord waren an der Tagesordnung. Ebenso forderten Kälte, Hunger und Krankheiten immer wieder zahlreiche Todesopfer. Diese wurden teilweise verbrannt oder auch in Scheunen aufgeschichtet, da der gefrorene Boden keine Bestattungen zuließ; sie wurden erst im Frühjahr verscharrt.

Quellen:

[1] Rentrop, Petra: Tatorte der “Endlösung”. Das Ghetto Minsk und die Vernichtungsstätte Maly Trostinez. Berlin: Metropol. 2011. S. 141

[2] Rentrop, Petra: Tatorte der “Endlösung”. Das Ghetto Minsk und die Vernichtungsstätte Maly Trostinez. Berlin: Metropol. 2011. S. 188.