Entstehung von Untergrundorganisationen und das Überleben im Ghetto
Um die Überlebenschancen unter den Ghetto-Insassen zu erhöhen, bildeten sich nach den Übergriffen und Razzien vom August 1941 erste jüdische Untergrundzellen. Im Laufe des Oktobers verstärkten sie die Verbindungen untereinander und schlossen sich zu einer einheitlichen Untergrundorganisation zusammen. Diese bestand aus 12x 10 Personen, welche mehrheitlich aus früheren Mitgliedern der K. P. stammten. Unterstützung erhielten sie zum Beispiel von ärztlichem Personal, aber auch von Mitgliedern der beiden Judenräte. Im Untergrund betrieben sie illegale Radiosender, von welchen sie verschiedenste Nachrichten und Durchhalteparolen an die Bevölkerung weitergaben.
Ende 1941 wurde versucht, Verbindungen zum nicht-jüdischen, sowjetischen Untergrund und zu den umliegenden Partisanenlagern herzustellen. Die Kontaktaufnahme gestalteten sich jedoch relativ problematisch, da Antisemitismus auch unter den sowjetischen Partisaninnen und Partisanen verbreitet war. Jüdinnen und Juden wurden von ihnen als Spioninnen und Spione, Verräterinnen und Verräter, bzw. feige angesehen, und die Formationen waren unwillig, in großem Umfang zu helfen. Trotz der Umstände gelang es dem Ghetto-Untergrund in den Jahren 1942 und 1943, mehrere Tausend Jüdinnen und Juden zu sowjetischen Partisaneneinheiten durchzuschleusen und damit vor dem sicheren Tode zu bewahren.
Die Untergrundorganisationen verhalfen Menschen nicht nur zur Flucht, sie besorgten Lebensmittel, Kleidung und Medikamente für die eingeschlossenen Ghetto-Insassen. Ebenso gehörte das Errichten von sogenannten „maliny“ (Verstecken) zu ihrer Aufgabe. Diese wurden hinter falschen Wänden, auf Dachböden oder unter Fußböden errichtet. Sie boten den Insassen bei Razzien und Übergriffen der Besatzungsmacht ein Versteck, das sie vor dem Tod bewahren sollte.
Auch wenn die Untergrundbewegung des Ghettos zur Nahrungsbeschaffung beitrug, so konnten sie bei weitem nicht allein den gesamten Bedarf der Menschen decken. Deshalb mussten die Jüdinnen und Juden die wenigen Möglichkeiten unter Einsatz ihres Lebens nutzen, um das Allernötigste für sich und ihre Familienmitglieder zu besorgen, da die Nahrungsmittelversorgung im Ghetto keinesfalls ausreichend war.
Eine Möglichkeit war das unerlaubte Verlassen des Ghettos. Da diese, ausgenommen der „Sonderghettos“, lange Zeit keine gesicherten Mauern beziehungsweise Stacheldrahtumzäunungen hatte, konnte das Ghetto zunächst relativ „einfach“ verlassen werden. Wurde man dabei erwischt, wurde man sofort erschossen. Gelang das unbemerkte Überschreiten, so bettelten die Jüdinnen und Juden bei den umliegenden Bäuerinnen und Bauern oder bei nicht-jüdischen Freunden um Nahrung. Teilweise wurden von den Jüdinnen und Juden auch noch in ihrem Besitz befindende Wertsachen wie Uhren oder Schmuck gegen Nahrungsmittel eingetauscht.
Den Insassen der beiden „Sonderghettos“ war das Verlassen ihres Bereiches jedoch fast unmöglich. Sie mussten auf den Tauschhandel mit der ansässigen Bevölkerung vertrauen. Dies galt jedoch als schwieriges Unterfangen, da zum einen die Sprache ein großes Hindernis darstellte, zum anderen die Insassen vom Wohlwollen des Tauschpartners bzw. der Tauschpartnerin abhängig waren. Oft bekamen die „Reichsjuden“ nur einen Bruchteil vom eigentlichen Wert ihrer Tauschware. Das zeigt sich auch in einem Bericht des Düsseldorfer Überlebenden Günther Katzstein:
„Der Tauschhandel war ein sehr schlechtes Geschäft für uns, weil die Leute auf der anderen Seite ja alle Trümpfe in der Hand hatten. Dadurch konnten sie uns auspressen, wie sie wollten.”[1]
Eine Flucht aus dem Ghetto gelang wenigen, allenfalls mit Hilfe der zuvor erwähnten Untergrundorganisationen. Es liegen jedoch auch einzelne Berichte über individuelle Fluchten vor, teilweise von Kindern und Jugendlichen. Mit Hilfe von gefälschten Papieren ihrer weißrussischen Freunde, gelang die Flucht. Nach einer gelungenen Flucht konnten die Jüdinnen und Juden bei Freunden unterkommen, sie arbeiteten auf Bauernhöfen im Umland oder fanden Unterschlupf in einem Partisanenlager.
Bis heute ist die Entstehungsgeschichte des Vernichtungslagers Malyj Trostenez ungeklärt. Als Haft- und Erschießungsstätte soll das Gut bereits 1941 fungiert haben. Die ersten Massenmorde für die es eindeutige Belege gibt, gehen auf den 11. Mai 1942 zurück.
Der Kommandeur der Sicherheitspolizei (KdS) Eduard Strauch wurde von Reinhard Heydrich mit den „Judentransporten“ aus dem Deutschen Reich beauftragt. Seine Aufgabe sollte die Koordination und planmäßige Vernichtung der ankommenden Jüdinnen und Juden sein. Wichtig für den Zielort der Transporte war eine leichte Erreichbarkeit durch Züge und eine Abgeschiedenheit der Stätte. Infolgedessen übernahm Eduard Strauch die ehemalige Kolchose Malyj Trostenez als Landgut zur Eigenbewirtschaftung mit dem angrenzenden Wald Blagowschtschina, um dort die Tötungen möglichst unbemerkt durchführen zu können.
Quelle:
[1] Rentrop, Petra: Tatorte der “Endlösung”. Das Ghetto Minsk und die Vernichtungsstätte Maly Trostinez. Berlin: Metropol. 2011. S. 181.