Die Familie Seiler in Wien
Wolf Seiler stammte ursprünglich aus Galizien, aus der Ortschaft Kopytschynzi in der heutigen Westukraine. Er kam bereits als Kind nach Wien und es ist anzunehmen, dass er russisch sprach. 1922 heiratete er Chaje, die ebenfalls ursprünglich aus Galizien stammte.[1] Wolf, Chaje und ihre beiden Kinder Alfred und Mary wurden 1944 ins Lager nach Malyj Trostenez deportiert. Alle vier haben überlebt.[2]
Alfred Seiler, der Sohn, beschreibt die Familie als jüdische Familie des Mittelstandes.[3] Die Familie Seiler wohnte ursprünglich im obersten Stockwerk in der Kurzgasse 3, im 6. Wiener Gemeindebezirk.[4] Das Haus steht noch heute. Wolf Seiler ist unter dieser Adresse auch mehrere Jahre im Wiener Wohnungsanzeiger vermerkt.
Der Vater, Wolf Seiler hatte gemeinsam mit Verwandten ein Handelsunternehmen für Kleidung. Der Standort des Unternehmens „Glanzmann, Epstein und Co“ war die Obere Donaustraße 35, im 2. Bezirk.[5] Das Geschäft befand sich direkt beim Donaukanal, schräg gegenüber der Rossauer Kaserne. Es existiert heute nicht mehr. Im Dezember 1938 wurde das Unternehmen im Zuge der „Arisierung“ liquidiert, Schlüssel und Inventar mussten der NSDAP übergeben werden.[6] Wolf Seiler arbeitete, nachdem sein Unternehmen schließen musste, in einer Lederfabrik. Chaje Seiler ist in einem Dokument als Hausfrau vermerkt.[7]
Der Sohn von Chaje und Wolf, Alfred Seiler, besuchte zuerst eine öffentlichen Schule und später das Chajes Real Gymnasium. Das Chajes Gymnasium war ein konservatives jüdisches Gymnasium im 20. Bezirk, in der Staudingergasse. Dort befindet sich auch heute noch eine Schule. Ab 1939 musste die Schule in die Castellezgasse, 2. Bezirk, umziehen. Die Schule war nun aber kein Gymnasium mehr, da die Matura für jüdische Schüler verboten wurde. Ab 1941 befand sich im Schulgebäude in der Castellezgasse ein Sammellager.[8]
Alfred Seiler wurde, nachdem der Schulbesuch nicht mehr möglich war, gezwungen, entweder in Wien eine Arbeit zu finden oder ins Arbeitslager nach Doppel zu gehen, einem von der SS verwalteten Zwangsarbeitslager für jüdische Auswanderer. Alfred fand Arbeit bei „Terranova Industries“, einem Werk für Baumaterialien.[9] Er war dort mit ca. 20 weiteren jüdischen Arbeitern beschäftigt.[10] Der Standort des Werks lag in Liesing, heute 23. Bezirk, am Rand von Wien.
Mary, die Tochter, besuchte in Wien ursprünglich auch eine Schule, sie wurde aber 1940/1941 mit weiteren jüdischen Mädchen in ein Arbeitslager bei Berlin geschickt. Dort mussten sie Spargel ernten. Sie kam aber bald nach Wien zurück.[11]
Anfang 1940 musste die Familie ihre ursprüngliche Wohnung in der Kurzgasse 3 im 6. Bezirk verlassen und zog in eine Sammelwohnung in der Wienzeile 4/9, im 6. Bezirk, gleich beim Naschmarkt.[12] Alfred Seiler schreibt dazu in seinem Buch folgendes: „Before long we had a population explosion in this appartement with all the rooms occupied by a different jewish family."[13] Die Adresse Wienzeile 4/9 ist die letzte Adresse der Familie Seiler vor der Deportation, sie ist auch auf der Deportationsliste als Adresse der Familie vermerkt.
Die beiden Kinder, Alfred und Mary, waren Mitglieder bei der jüdischen Jugendorganisation Alijah, die ihr Hauptquartier in der Marc Aurel Straße 5, 1. Bezirk, hatte. Leiter der Jugend-Alijah war Aaron Menczer. Er hat einige jüdische Kinder außer Landes gebracht und Kindertransporte organisiert. Die Schwester Mary sollte auf diese Weise Wien verlassen, was aber scheiterte.[14] Auch der Versuch auszuwandern Richtung Palästina , blieb ohne Erfolg.[15]
Quellen:
[1] Seiler Alfred, From Hitler's death camps to Stalin's gulags, 2010, S. 5-8.
[2] Wolf William Seiler *19.12.1895 †?, Chaje Esther (Klara) Seiler (geborene Glanzmann) *02.10.1896 †1961, Fred (Alfred) Seiler *14.02.1926†20.07. 2008, Mary (Miriam) Seiler *24.08.1923 †1961.
[3] Seiler Alfred, From Hitler's death camps to Stalin's gulags, 2010, S. 5.
[4] Ebd., S. 35.
[5] Ebd., S. 33-34.
[6] Ebd., S. 36.
[7] Dokument bezüglich Schiffsausreise auf dem die Namen von Wolf, Chaje, Fred und Mary vermerkt sind (Schriftwechsel und Namenslisten, ausgestellt in Bremen-Grohn, Verkehrsmittel Schiff, Uss General Heintzelmann, Transitländer und Emigrationsziele: USA)
[8] Seiler Alfred, From Hitler's death camps to Stalin's gulags, 2010,S. 25-26.
[9] Ebd., S. 49.
[10] Ebd., S. 54.
[11] Ebd., S. 52-53.
[12] Ebd.,, 2010, S.44.
[13] Ebd., S. 57.
[14] Ebd., S. 46.
[15] Ebd., S. 38.