Weiterleben
„Um 10 Uhr begann das 1. Haus im Dorf Klein Trostenez zu brennen.“ [1]
Mit diesem Satz endet der Bericht Wolf Seilers. In einem Videointerview aus dem Jahr 2007 mit Wolfs Sohn Alfred lässt sich die Geschichte der Familie, trotz unvollständigem Bericht, weiter rekonstruieren. Zudem hat Alfred ein Buch veröffentlicht, das auch die Verfolgungsgeschichte seiner Familie beschreibt.
Fünf Tage nach dem Scheunenbrand erreichen sowjetischen Truppen Malyj Trostenez. Davor gelang es Wolf Seiler, zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Kindern zu fliehen.
Die Familie entkam über Minsk nach Moskau. Nach einem längeren Aufenthalt in einem Vorort der Stadt wurden die Seilers in das Arbeitslager Krasnagorsk in Kasachstan gebracht, wo sie Zwangsarbeit leisten mussten.[2] Während Alfred Seilers Lagerzeit dort soll der hier dargelegte Bericht entstanden sein.
Anfang Dezember 1947 wurde die Familie entlassen, sie kehrten aber erst am 21. Februar 1948 über Rumänien nach Wien zurück. Von der Israelitischen Kultusgemeinde am Bahnhof empfangen, wurde die Familie nach Döbling in eine Unterkunft gebracht.
„Auf dem Weg nach Döbling haben sie uns vorbeigeführt an der Kurzgasse. Da sag ich zu dem Mann: 'Halt, halt einen Moment' Und ich bin ausgestiegen und habe auf mein Geburtshaus geschaut. 10 Jahre hat es gedauert und die Odyssee war zu Ende.[...]“[3]
Die Familie verließ Wien Ende 1949 in Richtung USA. Das Ziel war Philadelphia. Wolf, Chaje und Mary bauten in Philadelphia ein Kleidungsunternehmen mit dem Namen Seiler & Weisz auf; Alfred Seiler ging nach einem Jahr in Philadelphia nach New York, wo er ebenfalls in der Kleidungsindustrie arbeitete.[4]
Alfred Seiler wurde im Interview danach gefragt, wie er mit Vergangenheit heute umgehe. Er antwortete:
„Die Erfahrungen von der Zeit sind immer mit mir – Tag und Nacht. Es ist immer im Unterbewusstsein oder im Bewusstsein.“[5]
Wie viele Überlebende der Shoah trieb auch ihn die Frage um: Warum habe ich überlebt? Warum genau ich? Obwohl Alfred Seiler sein restliches Leben mit dieser Frage kämpft, findet er eine Erklärung, einen Sinn:
„Bin ich auserkoren die Geschichte zu erzählen? Wahrscheinlich.“[6]
Quellen:
[1] Seiler Bericht, S.11.
[2] Vgl.: Seiler, From Hitlers Deathcamp to Stalins Gulag, S. 82ff.
[3] Vgl.: Alfred Seiler Interview, 1:05:00, online unter: https://www.weitererzaehlen.at/interviews/alfred-seiler
[4] Alfred Seiler, From Hitlers Deathcamp to Stalins Gulags, S. 126-127.
[5] Vgl.: Ebd., Alfred Seiler- Interview,. 1:14:14.
[6] Vgl.: Ebd., Alfred Seiler- Interview, 1:15:03.