Gerichtsprozess 1970
1965 wurde das österreichische Justizressort vom Innenministerium informiert, dass Wendl an Vergasungen und Erschießungen teilgenommen habe. Es kam im Februar zu einer Voruntersuchung gegen Wendl wegen Totschlags nach § 212 RStGB. Nach fünf Jahren Ermittlungen, die sich aufgrund anderer Gerichtsprozesse und der verweigerten Kooperation Wendls verzögerten, kam es am 12. Mai 1970 zur Anklage wegen Mordes nach den §§ 134, 135 Ziff. 1 und 4StG gemäß dem § 136 StG vor einem Wiener Geschworenengericht.
Die Hauptverhandlung gegen Wendl dauerte vier Tage. Am Ende wurden den Geschworenen drei Hauptfragen und zwei Zusatzfragen gestellt, um Josef Wendl zu verurteilen.
1. Hauptfrage
„Ist Josef Wendl schuldig, im Juni 1942 oder später in Mogilew gegen etwa 60 bis 70 jüdische Männer, Frauen und Kinder in der Absicht, sie zu töten, dadurch, dass er als Fahrer eines Gaswagens, in welchem diese Personen verschlossen worden waren, nach Anschluss eines Gassschlauches zwischen Auspufftopf und Wageninneren den Motor laufen ließ und mittels eines Handhebels dem Motor mehr Standgas gab, wodurch Motorgase in das Innnere des Wagens eindrangen, auf eine solche Art gehandelt zu haben, dass daraus deren Tod erfolgte?"
2. Hauptfrage
„Ist Josef Wendl schuldig, im September 1942 beim Gut Trostinec/Minsk etwa 140 jüdische Männer, Frauen und Kinder in der Absicht, sie zu töten, dadurch, dass er als Fahrer eines Gaswagens, in welchem diese Personen verschlossen worden waren, nach Anschluss eines Gasschlauches zwischen Auspufftopf und Wageninneren den Motor laufen ließ und mittels eines Handhebels dem Motor mehr Standgas gab, wodurch Motorgase in das Innere des Wagens eindrangen, auf eine solche Art gehandelt zu haben, dass daraus deren Tod erfolgte?"
3. Hauptfrage
„Ist Josef Wendl schuldig, im Jahre 1943 in Mogilew in mindestens drei Angriffen gegen etwa 100 jüdische Männer, Frauen und Kinder in der Absicht, sie zu töten, dadurch, dass er als Fahrer eines Gaswagens, in welchem diese Personen verschlossen worden waren, nach Anschluss eines Gassschlauches zwischen Auspufftopf und Wageninneren den Motor laufen ließ und mittels eines Handhebels dem Motor mehr Standgas gab, wodurch Motorgase in das Innere des Wagens eindrangen, auf eine solche Art gehandelt zu haben, dass daraus deren Tod erfolgte?"
Zusatzfragen:
- (Nur zu beantworten bei Bejahung zumindest einer Hauptfrage): „Hat Josef Wendl bei Verübung der in den Hauptfragen Nr. 1) bis 3) bezeichneten Taten aus unwiderstehlichem Zwang (in Befehlsnotstand) gehandelt?"
- (Nur zu beantworten bei Bejahung mindestens einer Hauptfrage und Verneinung der Zusatzfrage Nr. 4): „Ist Josef Wendl bei Verübung der in den Hauptfragen Nr. 1) bis 3) bezeichneten Taten ein solcher Irrtum unterlaufen, der ihn an eine Situation glauben ließ, in der er zufolge unwiderstehlichen Zwanges (Befehlsnotstand) nicht anders hätte handeln können?"
[1]
Die Hauptfragen 1 bis 3 beantworteten die acht Geschworenen alle mit „Ja“. Die erste Zusatzfrage wurde mit sechsmal „Nein“ und zweimal „Ja“ beantwortet. Bei der zweiten Zusatzfrage antworteten wiederum alle Geschworenen mit „Ja“.
Der Schwurgerichtshof war sich danach sicher, dass den Geschworenen bei der Stimmabgabe ein Fehler unterlaufen war und ordnete erneut eine Abstimmung über die zweite Zusatzfrage an. Diese wurde wieder mit achtmal „Ja“ beantwortet, dadurch wurde Josef Wendl freigesprochen. Die Begründung der Geschworenen war, dass der Angeklagte mit einer strengen Bestrafung hätte rechnen müssen, wenn er Befehle verweigert hätte („Befehlsnotstand“).
Am 31. Dezember 1970 reichte die Staatsanwaltschaft eine Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil ein und begründete dies in einem Schreiben an das Landesgericht Wien. In dem Schreiben wurde kritisiert, dass die Geschworenen nicht ausreichend und sehr unverständlich rechtsbelehrt wurden. Es wurde die nicht ausreichende Aufklärung über die Folgen, Tragweite und Bedeutung der Bejahung der Zusatzfragen bemängelt. Das Generalprokurat war jedoch der Ansicht, dass die Einwände der Staatsanwaltschaft unbegründet seien, und forderten sie daher auf, die Nichtigkeitsbeschwerde zurückzuziehen. Am 10. März 1971 zog die Staatsanwaltschaft Wien die Nichtigkeitsbeschwerde zurück. Josef Wendl war somit ein freier Mann. Damit war keiner der namentlich bekannten 50 Täter, die aus Österreich stammten, wegen der Verbrechen in Malyj Trostenez belangt worden.
Quellen:
[1] Rennert, S. 98.
[2] ÖNB Bildarchiv, VGA_E2_0238, Hauptverhandlung gegen Josef Wendl, 6. bis 9.10.1970.