Die "endgültige" Spurenvernichtung

Triggerwarnung: Diese Ausstellungsseite befasst sich explizit mit der Ermordung von Menschen und könnte verstörend auf Besucher:innen wirken.

Die Erschießung und Verbrennung von mehreren tausend Menschen sowie die Entzündung der Gebäude des SD-Lagers Maly Trascjanec stellt den letzten Transformationsprozess durch die deutschen Besatzer dar. Als die Rote Armee Anfang Juli 1944 eintraf, fand sie einen gewaltüberformten Ort vor, der aus dem Versuch der endgültigen Spurenvernichtung von Menschheitsverbrechen hervorging.

df5db6c4536ee617269c2db8c9d402a8.png

Ausschnitt des Zeitzeugenberichtes eines Wiener Überlebenden

Nach der Vertuschungsaktion "1005" und der anhaltenden Ermordung von Menschen im Wald Šaškoǔka wurde die Rückeroberung von Minsk durch die Rote Armee im Juni 1944 absehbar. Bevor die deutschen Truppen aus dem Gebiet zurückgedrängt wurden, ordnete Kurt Gornig, Leiter der Abteilung IV des Minsker BdS, an, dass die letzten Überlebenden aus den umliegenden Lagern und Gefängnissen – darunter auch die Insass:innen des SS-Arbeitslagers Širokaja-Straße – ermordet werden sollen.1 Das Ziel: Die endgültige Vernichtung aller Spuren und Zeug:innen der Massenmorde zwischen 1941 und 1944.

Um den Plan in die Tat umzusetzen, wurden die Insass:innen und Kriegsgefangenen aus den umliegenden Lagern in LKW zu einer Scheune im Lager gebracht.2 Ein Wiener Überlebender des Lagers berichtete:

„Am 28. Juni waren schon in ununterbrochener Folge Wagen mit Evakuierten eingetroffen und Herr Rieder und das neue Kommando konnten fast nicht nachkommen. Am 29. kam dann der 2. Teil des neuen Kommandos an. – Ein Wagen nach dem anderen kam mit ‚Evakuierten‘ aus allen Gegenden. Bei uns im Lager befand sich eine 60 m lange und 20 m breite Scheune. Auch dort hin brachte man die Evakuierten. Der Zutritt in diese Scheune war für Zivilpersonen verboten. Auch hörte man von weiten das ununterbrochene M.G.Feuer.“3

Hintereinander wurden die Lagerinsass:innen in die Scheune getrieben, wo sie sich auf eine Schicht Baumstämme stellen sollten und mit Maschinengewehren erschossen wurden. Auf ihre Leichen wurden Baumstämme gelegt – die neuankommenden Menschengruppen mussten hinaufklettern und wurden ebenfalls erschossen.4 Auf diese Weise ging es weiter, bis der Scheiterhaufen zum Dach der Scheune reichte. Danach errichteten die Täter einen neuen Scheiterhaufen. Als die Scheune voll war, wurde die systematische Ermordung der letzten Überlebenden außerhalb des Gebäudes fortgesetzt.5 Innerhalb von drei Tagen, zwischen dem 28. und 30. Juni 1944, wurden ungefähr 6.500 Menschen aus den umliegenden Gefängnissen und Lagern in die Scheune getrieben, ermordet und auf Scheiterhaufen gestapelt.

Am 30. Juni, nur drei Tage bevor die Rote Armee Minsk zurückeroberte, wurde die Scheune auf dem Gelände des Lagers Maly Trasjanec entzündet. Stepanida Sawinskaja überlebte die letzte Vernichtungsaktion der deutschen Truppen bei Maly Trascjanec.6 Sie erzählte von den letzten Stunden:

„Auf Kommando der deutschen Henker stiegen die gefangenen Frauen zu viert aus dem Wagen. [..., A. i. O.] Ich kam auch bald an die Reihe. Ich kletterte mit Anna Golubowitsch, Julija Semaschko und einer weiteren Frau, deren Namen ich nicht kenne, [..., A. i. O.] auf den Haufen der Leichen. [..., A. i. O.] Schüsse ertönten, ich war leicht am Kopf verletzt und fiel nieder. Verwundet blieb ich bis zum späten Abend unter Leichen liegen. [..., A. i. O.] Dann wollte ich aus dem Schuppen entkommen, sah zwei verwundete Männer und wir alle drei beschlossen zu fliehen. Die deutschen Wachmannschaften bemerkten dies und schossen, die Männer waren tot und mir gelang es, mich im Sumpf zu verstecken. Dort blieb ich 15 Tage, ohne zu wissen, dass Minsk bereits von der Roten Armee befreit worden war.“7

12-4.jpg

Fotografie von Stepandia Sawinskaja

Nachdem die Täter die Scheune in Brand gesteckt hatten, wurden auch die Holzbauten des Lagers Maly Trascjanec und die Baracken, in denen die Häftlinge untergebrachtgewesen waren, angezündet. Dokumente, die den Massenmord an tausenden von Menschen hätten belegen könnten, wurden ebenfalls vernichtet.

Dieses skrupellose Vorgehen zeigt den letzten Akt der Vertuschung von Menschheitsverbrechen deutscher Besatzer in direkter Umgebung des Dorfes Maly Trascjanec. Als die Truppen der Roten Armee am 3. Juli 1944 am Vernichtungsort ankamen, brannte die Scheune noch immer.9

Inhaltlich verantwortlich: Tatjana Rykov

________________

1 Vgl. Kohl, Vernichtungslager Trostenez, S. 19.

2 Vgl. ebd.; Eulenburg/Kerpel-Fronius/Neumärker, Vernichtungsort, S. 145.

3 Undatierter Bericht eines Wiener Überlebenden, DÖW, S. 8.

4 Vgl. Kohl, Vernichtungslager Trostenez, S. 19.

5 Vgl. Eulenburg/Kerpel-Fronius/Neumärker, Vernichtungsort, S. 146.

6 Vgl. ebd., S. 147.

7 Zit. n. Eulenburg/Kerpel-Fronius/Neumärker, Vernichtungsort, S. 147.

8 Vgl. Dalhouski, Transformation, S. 118.

9 Vgl. Kohl, Vernichtungslager Trostenez, S. 19.