Historische "Räume"

Orte und Räume unterliegen einem ständigen Wandel. Dieser kann naturgegeben sein oder durch Menschen verursacht werden. Die Transformation eines Raumes lässt sich nicht von der menschlichen Wahrnehmung trennen. Um historische Entwicklungen von Räumen oder Orten rekonstruieren zu können, greifen Historiker:innen, wenn möglich, auf Bilder, Fotos oder Karten zurück. Doch derartige Quellen sind immer subjektiv durch die Wahrnehmung der Person geprägt, die sie erstellt hat.

Das Feld der kritischen Kartographie beschäftigt sich mit der Frage der Wahrnehmung von "Räumen". Die kritische Kartographie geht davon aus, dass Räume und Orte von Wahrnehmungen geprägt sind und nicht „eine“ Wahrheit existiert. Demnach bilden Karten nicht die Wirklichkeit ab, sondern die Effekte sozialer Strukturen und können als Produzentinnen sozialer Wirklichkeiten soziale Strukturen formen.¹

„[Sie] untersucht die Grundlagen des Wissens für unsere Entscheidungen, situiert Wissen in spezifischen historischen Epochen und geographischen Kontexten, widersteht etablierten Kategorien unseres Denkens und fordert diese heraus und zeigt, wie die Wahrheitsansprüche von Wissen unter spezifischen Rahmenbedingungen durchgesetzt werden, die eng verwoben sind mit Macht."²

Im Gegensatz zu Texten werden Bilder und Karten häufig als Abbildungen von Realität und somit „wahre“ Sinneseindrücke interpretiert.³ Ohne den historisch gesellschaftlichen Kontext gibt eine Karte jedoch wenig Informationen darüber, was an einem Ort geschehen ist. Durch die Dekonstruktion von Machtverhältnissen, die soziale Strukturen beeinflussen und erklären, können Geschehnisse in einen historisch gesellschaftlichen Kontext gesetzt werden. Dekonstruktion bedeutet in diesem Kontext, die Wahrheit eines Bildes oder einer Karte anzuzweifeln, da Wahrheit oder Fakten in der Regel nur für den Raum, der kulturell von dieser Wahrheit geprägt ist, gelten. Das bedeutet nicht, dass diese Wahrheit auf andere kulturelle Räume zutrifft.

Beim Betrachten einer Karte sollte demnach bedacht werden, dass ihre Erstellung von sozialen und politischen Prozessen geprägt ist und durch Karten reproduziert wird. Kartographie spiegelt also die Zustände sozialer Klassen und Hierarchien sowie polische Entwicklungen wider. Gleichzeitig wird die Wahrnehmung der Leser:innenschaft durch bestehende Machtverhältnisse beeinflusst. So bestimmt die Rhetorik, welche Leser:innenschaft angesprochen wird und ist somit dem Inhalt der Karte gleichzustellen.

Die folgende Ausstellung stellt die Transformation des teilweise hier im Bild zu sehenden Geländes, das ehemalige Vernichtungslagers und den heutigen Gedenkort Maly Trascjanec dar. Mithilfe von Informationstexten, Fotografien und Karten wird der Transformationsprozess veranschaulicht und soll verdeutlichen, wie stark soziale und politische Strukturen Orte transformieren können; aber auch wie schwerwiegend sowie flüchtig diese Transformationen sein können. Durch die Einteilung in aufeinander folgende Transformationsphasen wird der Einfluss der Phasen aufeinander verdeutlicht. 

Inhaltlich verantwortlich: Charlotte Vöhl

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1 Vgl. Glasze, Kritische Kartographie, S. 182.

2 Ebd., S. 187.

3 Vgl. ebd., S. 185.

4 Vgl. Harley, Das Dekonstruieren der Karte, S. 5-6.

5 Vgl. ebd., S. 8.

6 Vgl. ebd., S. 10.

7 Vgl. ebd., S. 14-15.