Die Entstehung einer Erinnerungskultur
Erst in den 1960er Jahren, knapp 20 Jahre nachdem die deutschen Truppen aus Maly Trascjanec zurückgedrängt wurden, begann sich der Ort erinnerungskulturell zu verändern. Geriet er vorher tendenziell in Vergessenheit – hier ist etwa die Einrichtung einer Mülldeponie im unmittelbaren Umfeld von Blahaǔščyna anzuführen –, wurden nun zögerlich Gedenksteine an Orten eingerichtet, die direkt mit den Massenmorden während der Besatzungszeit zusammenhängen.
Zu Beginn der 1960er Jahre wurde das Dorf Maly Trascjanec nur bedingt mit der Ermordung tausender jüdischer Menschen aus ganz Europa in Verbindung gebracht. Während sich die belarusisch-sowjetische Erinnerungskultur auf die Helden des Wiederstands konzentrierte, wurden die Opfer der Besatzungszeit tendenziell in den Hintergrund gerückt.
Wenige Kilometer weiter, im Dorf Vjaliki Trascjanec, wurden zwar vereinzelt Gedenkveranstaltungen für die Opfer ausgerichtet, doch damit entstand auch ein Problem: Immer mehr erschien Vjaliki Trascjanec als der historische Ort und das Gedenken verschob sich geografisch.1 Dieser Eindruck verstärkte sich 1963, als in Vjaliki Trascjanec ein Obelisk zum Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen errichtet wurde. Erst 1961 und 1966 wurden Gedenktafeln an dem historischen Ort eingerichtet, an den sie erinnern sollen: erstere in Maly Trascjanec und zweitere bei Šaškoǔka. Sie erinnern beide an die Besatzungszeit in Belarus und das faschistische Regime und erinnern an die Ermordung von Sowjetbürger:innen; die massenhafte Ermordung von jüdischen Menschen aus Westeuropa wurde – ebenso wie in dem Untersuchungsprotokoll der Außerordentlichen Staatlichen Komission – ausgeklammert.
In die 1960er Jahre fallen auch die Ermittlungen gegen Albert Saukitens. Sowjetische Behörden machten ihn 1962 als Mitglied einer lettischen Einheit ausfindig, die in Maly Trascjanec beschäftigt und an den Massenermordungen in Maly Trascjanec beteiligt gewesen war.2 Am 25. September 1962 begaben sich sowjetische Ermittler gemeinsam mit Saukitens zurück an den Vernichtungsort. Hier musste er ihnen unter anderem zeigen, wo die Massenerschießungen stattgefunden hatten, wo er hatte Wache stehen müssen und wie das ehemalige SD-Lager aufgebaut gewesen war. Auf der Fotografie von Saukitens vor der Waldlichtung bei Blahaǔščyna wird ersichtlich, dass der während der Besatzungszeit gerodete Wald noch nicht nachgewachsen ist.
Inhaltlich verantwortlich: Tatjana Rykov
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1 Vgl. Dalhouski, Transformation, S. 121; Novikau/Saal, Gedenken, S. 401.
2 Vgl. Eulenburg/Kerpel-Fronius/Neumärker, Vernichtungsort, S. 174.