Die Untersuchung von Transformationsprozessen
Was bedeutet "Transformation"? Oder genauer gefragt, was bedeutet Transformation als Umgestaltung von Gelände im Kontext der Gewaltverbrechen der deutschen Besatzer in Osteuropa im Zweiten Weltkrieg? Um diesen Prozess verstehen zu können, müssen zunächst der – für unsere heutigen Augen irrationale – Zweck und die Absichten hinter der nationalsozialistischen Gestaltung von Räumen untersucht werden.
Martin Pollack hat den Begriff der "Landschaft" als einen widersprüchlichen Begriff charakterisiert, der bei den meisten Menschen positive Verbindungen mit natürlicher Unberührtheit und ein Gefühl eines sentimentalen Rückzugraumes hervorrufe und den Eindruck vermittele, von menschlichen Einflüssen weitgehend frei zu sein. Landschaft allerdings sei immer vom Menschen geformt und unterliege damit auch seinen Erinnerungen und Gefühlen, die er darauf projiziere.1
Auch in der Gedankenwelt des Nationalsozialismus wurde der Landschaftsbegriff aufgegriffen und im Sinne der "Rassentheorie" auf die angeblich notwendige Auseinandersetzung des "schaffenden Germanentums" mit den "apathischen Slawen", genauer auf die Kolonisierung und wirtschaftliche Ausbeutung Osteuropas bezogen. Mit der Vorstellung von Osteuropa als unorganisiertem und wirtschaftlich unentwickeltem Raum sahen nationalsozialistische Theoretiker eine Mission der Deutschen, in Osteuropa eine neue, schöpferische Ordnung zu errichten.2
"Ordnung" muss hierbei als zentraler Begriff gesehen werden. Ihrem rassistischen Blick auf die einheimische - vor allem die jüdische - Bevölkerung folgend, sahen viele der Besatzer sich als zukünftige Kolonisatoren in einem noch zu erschließenden "Deutschen Osten".3 Dieses Ziel war nur durch die physische Vernichtung der einheimischen Bevölkerung zu erreichen.
"Die Gestaltung der Landschaft diente als Begründung, als Rechtfertigung für den Völkermord"4
Dieser Wille zur Vernichtung in der Erschaffung einer neuen Ordnung des Raumes ist in der nationalsozialistischen Lagerarchitektur sichtbar, die sich auch in Maly Trascjanec zeigte. Die für die Lager typische Trennung in Arbeits- und Vernichtungsbereich und die deutliche Trennung der Unterbringungsbereiche von Lagerpersonal und -insass:innen sollte neben ihrer zweckmäßigen Funktion ein Machtverhältnis verdeutlichen: Dieses Lager, eine kleine Siedlung für sich, diente allein dem Willen und den Vorstellungen der Besatzer. Seine Formen von Urbanität, wie Infrastruktur und die ortsnahe Produktion von Gütern, waren von den Besatzern entworfen und sollten ihnen allein zugute kommen.5
Nicht zuletzt erfüllte die Transformation der Landschaft von Maly Trascjanec auch den zentralen Zweck der Vernichtung der Menschen selbst; und die Vernichtung der Erinnerung daran. Um die in möglichst großer Verborgenheit verübten Morde verborgen bleiben zu lassen, musste der Raum auch nach ihrer Ermordung transformiert, neu geformt werden. Das erforderte Zeit, enormen Aufwand, eine genaue Kenntnis der topographischen Begebenheiten und nicht zuletzt, eine Beseitigung der sterblichen Überreste der Ermordeten. Transformation hat somit auch eine Dimension der Verweigerung: der Verweigerung von Schuld seitens der Täter:innen und, oftmals, auch eine Verweigerung der Erinnerung durch die umliegenden Bewohner:innen aus verschiedenen Gründen.6
Was bedeutet also "Transformation"?
Transformation bedeutet, eine Landschaft oder ein bestimmtes Areal physisch umzugestalten, um es einem bestimmten Zweck anzupassen; im Falle von Maly Trascjanec erfolgte die Transformation des Ortes zwischen 1941 und 1944 mit dem Ziel, Menschen zu ermorden. Die Effizienz des Mordens steigerte sich in diesem Zeitraum, was auch topografisch sichtbar wird. In der Nähe von Blahaǔščyna wurde zügig ein Bahngleis erweitert, um die deportierten Menschen schneller zum Erschießungsort bringen zu können. Das Lager bei Maly Trascjanec wurde vergrößert, um mehr Menschen als Zwangsarbeitskräfte auszubeuten.
Transformationsprozesse haben neben einer physischen aber auch eine psychische Ebene: Für die Dorfbewohner von Maly Trascjanec wandelte sich in nur zehn Jahren das komplette Verständnis für den Ort. In den 30er Jahren wurde er als Kolchose genutzt, in der ersten Hälfte der 40er Jahre als nationalsozialistisches Lager und nur kurz darauf wieder als landwirtschaftliches Gut. Ebenso wie die Landschaft transformierte sich also das Verständnis und die Erinnerung an Maly Trascjanec. In der sowjetischen, belarusischen und deutschen Erinnerungskultur veränderte sich die Wahrnehmung des Vernichtungsortes im Verlauf der Zeit.
Inhaltlich verantwortlich: Peter Kamp
______________
1 Vgl. Pollack, Kontaminierte Landschaften, S. 6.
2 Vgl. ebd., S. 12.
3 Gerlach, Kalkulierte Morde, S. 122.
4 Pollack, Kontaminierte Landschaften, S. 14.
5 Vgl. Wienert, Das Lager vorstellen, S. 135.
6 Vgl. Pollack, Kontaminierte Landschaften, S. 34.