Vom SD-Lager zur Kolchose
Parallel zu den Ermittlungen der Außerordentlichen Staatlichen Komission der Sowjetunion (ČGK) im Juli 1944 begannen Angehörige der ermordeten Gefangenen des Vernichtungsortes Maly Trascjanec Gedenkkundgebungen zu veranstalten. Nach Abschluss der Ermittlungen seitens der ČGK wurde das Gelände des ehemaligen Lagers wieder in eine Kolchose transformiert. An die Morde oder das Leid, das in dem Ort durch die deutsche Besatzung verursacht wurde, erinnerte kaum etwas.
Nach den Ermittlungen der ČGK kamen Menschen aus der lokalen Bevölkerung, darunter Mitarbeitende benachbarter Kolchosen und Behördenvertretende zu Gedenkkundgebungen für die Opfer zusammen. Die ČGK und die politisch Verantwortlichen wurden von der Bevölkerung dazu aufgefordert, sogenannte „Brudergräber“ (Massengräber von Kriegsopfern in der ehemaligen Sowjetunion) auf dem ehemaligen Lagergelände aufzustellen.¹ Diese wurden von den Behörden jedoch ignoriert.
Am 22. Oktober 1944 wurde das Museum des Großen Vaterländischen Krieges in Minsk eröffnet. In der damaligen Ausstellung wurden persönliche Gegenstände der ermordeten Gefangenen sowie Warnschilder des ehemaligen Lagers bei Maly Trascjanec ausgestellt. Die ermordeten Gefangenen wurden – ebenso wie im Untersuchungsprotokoll der Außerordentlichen Komission – als friedliche Sowjetbürger:innen beschrieben. Die antisemitische Dimension des deutschen Vernichtungskrieges auf dem Gebiet von Belarus wurde ausgeklammert.
Das eigentliche Areal des ehemaligen Lagers Maly Trascjanec wurde unterdessen wieder in den landwirtschaftlichen Betrieb überführt und zu einer Kolchose umstrukturiert.
1956 fiel der Beschluss, im Nachbardorf Vjaliki Trascjanec ein Denkmal für "Krieger der Sowjetarmee, Partisanen und friedliche Zivilist:innen" auf den bereits dort befindlichen Brudergräbern zu errichten. Allerdings wurde das Vorhaben aus zwei Gründen nie in die Tat umgesetzt: Erstens fehlte wahrscheinlich das Geld für die Umsetzung des Projekts und zweitens waren aus dem Lager Maly Trascjanec keine nennenswerten Wiederstandsaktivitäten überliefert, die eine solche „Verehrung“ vor dem Hintergrund der sowjetischen Erinnerungspolitik der 1950er Jahre gerechtfertigt hätte.² Die belarusisch-sowjetische Erinnerungskultur konzentrierte sich vor allem auf die Helden des "Großen Vaterländischen Krieges"; die Opfer der Besatzungszeit wurden außer Acht gelassen. Auf dem Gelände in Blahaǔščyna etstand nach Kriegsende ein Artillerie-Übungsplatz des Militärs. 1958 wurde in unmittelbarer Nähe eine Mülldeponie angelegt. Die Platzierung der Mülldeponie löste Protest bei dem dort stationierten Militär aus, was dazu führte, dass nur ein kleiner Teil des ursprünglich geplanten Geländes als Mülldeponie genutzt wurde.³
Inhaltlich verantwortlich: Charlotte Vöhl
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1 Vgl. IBB Dortmund und IBB Minsk, Vernichtungsort Trostenez in der europäischen Erinnerung, S. 182.
2 Vgl. Dalhouski, Transformation, S. 120.
3 Vgl. ebd., S. 120-121.