Von der Kolchose zum SD-Lager
Die Errichtung des Lagers bei Maly Trascjanec zeigt die Verbindung zwischen Völkermord und wirtschaftlicher Ausbeutung in der nationalsozialistischen Besatzungspolitik.
Auf der gegenüberliegenden Seite von Blahaǔščyna, an der Schnellstraße Minsk-Mahiljou, liegt das Dorf Malj Trascjanec, das vor Beginn der deutschen Besatzung Teil der Kolchose "Karl Marx" war. Auf dem 250 Hektar großen Gelände wurden Ackerbau und Viehzucht mitsamt Getreidemühle und Sägewerk sowie verschiedene handwerkliche Einrichtungen betrieben.1 Im April 1942 wurde die Kolchose durch den KdS Minsk beschlagnahmt und als "SS-Gut Trostenez" in die Zuständigkeit des SS-Wirtschaftshauptamtes gebracht. Der Zweck dieses "SS- und Polizeigutes" bestand in der Ernährung der Besatzer durch die Lieferung von Nahrungsmitteln nach Minsk in die dortigen Wehrmachts-, SS- und Polizeistellen.2
Ab 1942 wurden nach Minsk deportierte Menschen, aber vor allem auch Personen aus der Umgebung zur Zwangsarbeit auf dem Gut genötigt; im Herbst 1943 waren etwa 600 bis 900 Zwangsarbeiter:innen auf dem Gut untergebracht. Sie wurden zur Arbeit in der Schneiderei, Schusterei, Sattlerei sowie in einer Asphaltfabrik gezwungen. Der Asphalt wurde genutzt, um die Schnellstraße Minsk-Mahiljou auszubessern und die "Eduard-Strauch-Allee" zu bauen, die direkt zum Lager führte.3 Im Jahr 1942 wurden die Häftlinge größtenteils zum Ausbau der Wohn- und Wirtschaftsgebäude des Lagers eingesetzt. In diesen Zeitraum fällt auch die Errichtung von Stallungen, einer KfZ-Werkstatt und einer Schmiede.4 Da die Zahl der Häftlinge ständig wuchs, ließ die Lagerleitung neue Häftlingsbaracken bauen. Im südlichen Teil des Lagergeländes mussten die Insass:innen vier neue Baracken errichten, welche mit Stacheldraht umzäunt wurden. Außerdem wurden neue Wachtürme gebaut.
"Derjenige, der arbeitsfähig war und irgendein Handwerker, hatte eine größere Chance länger zu leben, als der Alte, Gebrechliche. Ununterbrochen arbeiten war das Beste. Die kleinste Pause und schon wurde man auf die Liste gesetzt und spätestens am nächsten Tag erschossen."5
Südlich des Lagers errichtete die Lagerverwaltung 1942 einen Friedhof, auf dem verstorbene Dienststellenangehörige beigesetzt wurden. Im April 1942 ließ Eduard Strauch (Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in "Weißruthenien") einen Gedenkstein für Reinhard Heydrich (SS-Obergruppenführer, einer der Hauptorganisatoren des Holocausts) errichten.6
Angesichts zunehmender Angriffe von Partisanen auf das Lager wurde das Dorf Maly Trascjanec, zu dem 92 Bauernhöfe gehörten, im Mai 1943 zu einem "Wehrdorf" umgewandelt.7 Die über 700 bisherigen Bewohner:innen wurden umgesiedelt und durch als "loyal" angesehene Bauern ersetzt, die mit den Lagerwachen eine zusätzliche Bewachungsfunktion für das Lager erfüllten.8
Inhaltlich verantwortlich: Peter Kamp
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1 Vgl. Kohl, Das Vernichtungslager Trostenez, S. 15.
2 Vgl. Gerlach, Kalkulierte Morde, S. 341.
3 Vgl. Kohl, Das Vernichtungslager Trostenez, S. 16-17.
4 Vgl. ebd.
5 Zitat Grünberg, in: IBB Dortmund/IBB Minsk/Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden (Hrsg.): Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung, S. 89.
6 Vgl. Rentrop, Tatorte der Endlösung, S. 222.
7 Vgl. Kohl, Das Vernichtungslager Trostenez, S. 15.
8 Vgl. Kohl, Das Vernichtungslager Trostenez, S. 17.