Der historische Kontext
Im Sommer 1941, unmittelbar nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, wurde die belarusische Hauptstadt Minsk von deutschen Soldaten erobert. Nur wenige Kilometer weiter, im Südosten von Minsk, lag das kleine Dorf Maly Trascjanec. In seiner direkten Umgebung wurden zwischen 1941 und 1944 massenhaft Menschen aus Europa und der Sowjetunion, vor allem jüdischen Glaubens, aber auch Partisanen und Angehörige der lokalen Inteligenzija zur Zwangsarbeit verschleppt und ermordet.
Kurz nach Beginn der deutschen Besatzungszeit in Belarus richteten Sicherheitspolizei und SD auf dem Gelände der "Karl-Marx-Kolchose" das "SS-Gut Trostenez" ein. Zehntausende jüdische Menschen aus Europa und der Sowjetunion wurden zwischen 1941 und 1944 im Wald Blahaǔščyna ermordet und in Massengräbern verscharrt. Im Rahmen der "Aktion 1005" wurden ihre Leichen ausgehoben und verbrannt, um im Falle eines Rückzuges keine Spuren zu hinterlassen. Als die Rote Armee im Juni 1944 immer näher an das Dorf heranrückte, versuchten die Besatzer in einem Akt der Verschleierung auch die letzten Spuren der Massenmorde zu beseitigen. Danach gerieten Maly Trascjanec sowie die Geschehnisse in den Waldstücken Blahaǔščyna und Šaškoǔka für lange Zeit in Vergessenheit.
Die Waldlichtung mit über 30 Massengräbern wuchs wieder zu, aus dem ehemaligen SD-Lager wurde eine Kolchose und im Dorf Vjaliki Trascjanec, unweit Maly Trascjanec, entstand ein Monument für die Menschen, die während der deutschen Besatzungszeit ermordet wurden. Bis in die 1960er bzw. 2000er Jahre dauerte es, bis Gedenksteine bei Šaškoǔka und Blahaǔščyna installiert worden sind. Erst in den 1990ern begannen Planungen für eine große Gedenkanlage, die noch bis heute unvollendet ist.
Die Frage nach der Anzahl der Menschen, die in Maly Trascjanec und seiner Umgebung ermordet wurden, kann bis heute nicht geklärt werden. Laut Angaben der Außerordentlichen Staatlichen Kommission der Sowjetunion (ČKG) ist von 206.500 Opfern auszugehen, davon 150.000 in Blahuǔščyna, 50.000 in Šaškoǔka und 6.500 in einer Scheune.1 Der Historiker Christian Gerlach geht davon aus, dass diese Zahlen zu hoch angesetzt seien. Aufgrund der Exhumierung von Leichen und der damit einhergehenden Verformung der Massengräber in Blahaǔščyna können die Angaben der ČKG nicht als gesichert betrachtet werden. Auch für das provisorische Krematorium in Šaškoǔka liegen keine authentischen Opferzahlen vor; die ČKG konnte hier nur Asche sowie kleinere menschliche Überreste finden. Lediglich die Anzahl der ermordeten Menschen in der Scheune übernimmt Gerlach; hier hielt sich die ČKG am längsten auf. Insgesamt schätzt Gerlach die Anzahl der Todesopfer bei Maly Trascjanec auf etwa 60.000.2
Inhaltlich verantwortlich: Tatjana Rykov, Rukia Soubbotina und Charlotte Vöhl
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1 Vgl. Kohl, Vernichtungslager Trostenez, S. 20; Rentrop, Tatorte der Endlösung, S. 226f.
2 Vgl. Gerlach, Kalkulierte Morde, S. 770.