Benennungen und Sprache
Sprache bedeutet Macht. Mit Worten definieren und ordnen wir unsere Welt; versuchen, sie für uns “greifbar” zu machen. Die Anwendung, aber auch Ablehnung bestimmter Begrifflichkeiten formt unsere soziale Wirklichkeit und ist damit ein direkter Eingriff in unser Verständnis der Realität.
Die öffentlich geführte Debatte über eine gendergerechte Sprache ist nur ein Beispiel dafür, dass sich Sprache mit der Gesellschaft verändert und anpasst. Aber auch die Benennung von Ländern und Städten und auch die jeweils verwendeten Schreibweisen oder Übersetzungen können eine Bestätigung oder eine Herausforderung von Machtverhältnissen darstellen oder die Existenz paralleler, konfligierender oder auseinanderstrebender und konkurrierender Deutungsrahmen darstellen. So ist in jüngerer Zeit aus „Weißrussland“ auch im deutschen Sprachgebrauch „Belarus“ geworden, während ganz aktuell die Schreibweise „belarusisch“ parallel zu „belarussisch“ verwendet wird.1 Gerade auch in erinnerungspolitischen Diskursen werden Namen sowie Bezeichnungen von Ländern, Städten oder Ortschaften nicht selten zur Artikulation von Macht durch Sprache – oder reproduzieren überkommene Deutungen und Beschreibungen historischer Sachverhalte, die aus Quellendokumenten übernommen werden.
Das belarusische Dorf Maly Trascjanec trägt im deutschen sowie englischen Sprachraum viele Namen: Malyj Trostenez2 oder Maly Trostinez3, um zwei Beispiele von vielen zu nennen. Diese wohl gängigsten Bezeichnungen sind Transliterationen, denen – oft lautmalerisch – der russischsprachige Name des Dorfes zugrunde liegt: “Малый Тростенец”. Weitere davon abweichende Schreibweisen finden sich zum Beispiel in den Akten und Fotografien der deutschen Besatzungsbehörden4 – also Täterakten – oder in den Protokollen von Prozessen vor deutschen Gerichten nach 1945, bei denen Zeugen auf den Ort Bezug nahmen.5
Die Wahl der Schreibweise in der Literatur – und in unterschiedlichen Sprachen – orientiert sich oft an Gepflogenheiten und Gewohnheiten oder an Schreibweisen, die in historischen Dokumenten anzutreffen sind. Oft wird dabei wenig reflektiert, weshalb die eigene Wahl einer Schreibweise getroffen wird und wie diese von unterschiedlichen Leser:innen aufgenommen werden.
Die Wahl der Schreibweise aus den Akten der deutschen Täter wiederholt oder reproduziert eine andere Wahrnehmung von “Malyj Trostenez” als die Nutzung einer sprachwissenschaftlich abgesicherten Transliteration aus dem Russischen. Im Falle von “Malyj Trostenez” spielt, wie an so vielen anderen Orten auch, gerade die Geschichte der Region selbst eine Rolle: Durch die Wahl einer russischen Schreibweise, die einen Ort in Belarus bezeichnet, werden vergangene Machtansprüche aus der Zeit russischer und sowjetischer Herrschaft sprachlich reproduziert. Umgekehrt gilt es selbstverständlich auch, die Rückkehr zu älteren oder alternativen Benennungen oder die Schöpfung neuer Namen für Orte kritisch zu reflektieren.
Die Geschichte des Landes Belarus – das im deutschsprachigen Raum lange Zeit als “Weißrussland” bezeichnet wurde und sich nun nach einer langen sprachlichen Verhandlungsphase als “Belarus” selbst behaupten konnte – ist durch Okkupation und Fremdherrschaft gekennzeichnet. Was bedeutet das für das Sprechen und Schreiben über Belarus? Wird durch die Reproduktion einer vor 1945 gebräuchlichen deutschen Transliteration die Perspektive der Täter reproduziert? Wird durch die Verwendung einer russischen Transliterationen die belarusische Souveränität in Frage gestellt?
Wie wird also Sprache über die Benennung von Orten zu einem Instrument gesellschafts- und erinnerungspolitischer Diskurse?
Im Rahmen des Projekts “Die digitale Erschließung des Vernichtungsortes Maly Trostenez” in Kooperation mit der Geschichtswerkstatt Leonid Lewin in Minsk, der Universität Wien und der Universität Osnabrück hat sich die Arbeitsgruppe dazu entschieden, den belarusischen Namen “Малы Трасцянец” zu transliterieren. Auch der Name für die Waldlichtung in der Nähe des Dorfes, auf der tausende Menschen ermordet worden sind, wird auf den folgenden Ausstellungsseiten in belarusischer Transliteration zu lesen sein.
Aus “Malyj Trostenez” wird Maly Trascjanec, aus Blagowschtschina wird Blahaǔščyna und aus Schaschkowka wird Šaškoǔka.
Wir verwenden daher in unserer Darstellung nicht historische Ortsnamen, sondern die gegenwärtig in Belarus verwendeten Schreibweisen dieser Ortsnamen.
Aktuell verwendete Schreibweisen von Maly Trascjanec: Malyj Trostenez, Maly Trostinez, Maly Trostinec, Maly Traszjanez.
Aktuell verwendete Schreibweisen von Šaškoǔka: Schaschkowka, Schaschkova, Schaschkowa, Schaschkouka.
Aktuell verwendete Schreibweisen für Blahaǔščyna: Blagowschtschina, Blagowschina, Blagovśćina, Blahauschtschyna.
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1Einen guten Überblick über diese Entwicklung geben Bohn/Rutz(Hrsg.): Belarus-Reisen. Empfehlungen aus der deutschen Wissenschaft, und Bohn/Einax/Mühlbauer(Hrsg.): Bunte Flecken in Weißrussland. Erinnerungsorte zwischen polnisch-litauischer Union und russisch-sowjetischem Imperium.
2So etwa verwendet von Barton, Der Vernichtungsort Malyj Trostenez und seine Bedeutung für Österreich, in: Der Vernichtungsort Trostenez in der europäischen Erinnerung. Materialien zur Internationalen Konferenz vom 21.-24. März in Minsk, S. 29-28 / Eulenburg/erpel-Fronius/Neumärker, Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung, / Dalhouski, Zur Transformation des sowjetischen Gedenkortes bei Malyj Trostenez in einen gesamteuropäischen Erinnerungsort, in: Schölnberger(Hrsg.), Das Massiv der Namen. Ein Denkmal für die österreichischen Opfer der Shoa in Maly Trostinec, S. 114-129.
3So etwa verwendet von Rentrop, Tatorte der "Endlösung". Das Ghetto Minsk und die Vernichtungsstätte von Maly Trostinez (Dokumente - Texte - Materialien 80) / Gerlach, Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944.
4Fotografie vom “Wehrdorf KL. Trostenieze”, der Fotograf und das Aufnahmedatum sind unbekannt (Belarussisches Museum des Großen Vaterländischen Krieges).
5“Klein Trostenez” etwa im undatierten Zeitzeugenbericht von Wolf Seiler (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes) / “Trostinec” etwa in der Befragung von Otto Goldapp durch die Staatsanwaltschaft Hamburg am 10. Februar 1960 (Staatsarchiv Hamburg/StAnw Hamburg 213-12 0597-001, S. 37) / “Klein Trostinetz” in der Befragung von Otto Drews aus dem April 1961 (Staatsarchiv Hamburg/StAnw Koblenz, 213-12 0597-003, S. 253) / “Gut Trostinez” etwa in der Aussage von Arthur Harder bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt im Februar 1960 (Staatsarchiv Hamburg/StAnw Frankfurt 213-12 0597-001, S. 120).